Experten und Betroffene fordern mehr Unterstützung für Adipöse

Die Statements der Teilnehmer am Media-Roundtable anlässlich des ersten Europäischen Tags zur Bekämpfung der Adipositas

Prof. Dr. Stephan Jacob: „Übergewicht ist eine Krankheit“

Der zweite Vorsitzende der Adipositas Stiftung Deutschland, Professor Dr. Stephan Jacob, ist niedergelassener Facharzt für Diabetologie/Endokrinologie und Lehrbeauftragter an der Universität Tübingen. Als besonders gefährlich schätzt er das viszerale, also versteckte Körperfett ein, das risikoreiche Substanzen produzieren kann. Diese Stoffe sind hauptverantwortlich für das Entstehen von Folgeerkrankungen wie Bluthochdruck oder Typ 2-Diabetes, da sie direkt in den Blutkreislauf gelangen. Professor Jacob ist überzeugt, dass Adipositas als Krankheit von der Gesellschaft nicht länger als rein ästhetisches Problem abgetan werden darf. Im Vordergrund stehen vor allem gesunde Ernährung und viel Bewegung. Bei vielen Patienten sieht er auch die medikamentöse Unterstützung als Chance im Kampf gegen das viszerale Fett. Zusammen mit Änderungen des Lebensstils kann die Gabe von Orlistat zu den Mahlzeiten die Fettaufnahme in den Körper reduzieren und so das Abnehmen unterstützen. Hierfür sei es jedoch stets wichtig, dass sich Abnehmwillige individuell von Arzt, Ernährungsberater oder Apotheker beraten lassen.

Johanna Jäger: „Es muss viel mehr Aufklärung geben“

In die Berliner Plus-Apotheke von Johanna Jäger kommen Adipositas-Kranke meist nicht, um aktiv etwas gegen ihr Übergewicht zu tun. Oft kommen sie aus anderen Gründen, etwa um Kopfschmerztabletten zu kaufen. Öffentlich zugeben, dass sie ein Problem haben, das trauten sich die wenigsten. Doch die Apothekerin weiß, dass sie ihre Kunden zum Beispiel mit einer Frage zu ihrem Essverhalten erreichen kann. Viele Betroffene glaubten selbst, sich normal zu ernähren – und schließlich stelle sich heraus, dass sie jeden Abend Sahnetorte essen. Ist die Selbsterkenntnis erreicht, erarbeitet Jäger mit ihren Kunden die weiteren Schritte und empfiehlt auf ihre Bedürfnisse abgestimmte medizinische Präparate. Die eigentlichen Gründe für das gestörte Essverhalten lägen jedoch oft tiefer. Bei vielen Übergewichtigen sei das Essen zum Frustessen geworden. So etwa bei Jugendlichen, die keine Ausbildungsstelle bekommen. Die Apothekerin bedauert, dass Adipositas noch immer nicht als Krankheit wahrgenommen werde.
Statt zu Ursachen und Lösungsmöglichkeiten aufzuklären, empörten sich die Deutschen nur darüber, wie dick die Leute seien.


Oliver Welchering: „Adipöse bekommen zu wenig Unterstützung“

Arthrose in den Kniegelenken, beginnende Typ 2-Diabetes, Depressionen und Zukunftsängste: Als Oliver Welchering im Jahr 2000 seinen Job verliert, fühlt er sich als Außenseiter der Gesellschaft. Knapp 200 Kilo bringt er zu diesem Zeitpunkt auf die Waage und lässt nichts unversucht: diverse Fastenkuren, psychosomatische Therapien, regelmäßiger Besuch von Sucht-Selbsthilfegruppen. Er entschließt sich zu einer Magenbypass-Operation, kämpft monatelang um die Übernahme der Kosten durch seine Krankenkasse. Erst im dritten Anlauf bekommt er schließlich die Zusage. Heute wiegt der 37-Jährige 80 Kilo weniger, ist gesund, wieder berufstätig und fühlt sich endlich wieder als vollwertiges Mitglied der Gesellschaft. Es sei für ihn schwer gewesen, wirkliche Hilfe zu bekommen. Deshalb ist er der Meinung, dass Adipositas als Krankheit in ihrer Komplexität wahrgenommen werden müsse. Nur mit einer breiten Aufklärung und der Unterstützung durch Experten könne sie wirklich bekämpft werden.

– Adipositas Stiftung // Veröffentlicht in AllgemeinNews