Akute Gewichtszunahme ist ein Notfall mit sofortiger Indikation für eine Therapie

Die Mechanismen der Körpergewichtsregulation etablieren Übergewicht und Adipositas als chronische Erkrankung, der nur eine lebenslange Therapie entgegengesetzt werden kann. Angesichts der ausgesprochen geringen Erfolge unterschiedlicher Gewichtsreduktionsprogramme, stehen die Suche nach Veränderungen im Gehirn und nach pharmakologischen Substanzen im Zentrum der wissenschaftlichen Forschung.
Immerhin sind weltweit mehr Menschen übergewichtig als normal- oder untergewichtig, und in Kanada werden bis zu einem Viertel der Einwohner als adipös deklariert, sagte Professor Arya M. Sharma von der Alberta University in Kanada auf dem diesjährigen Kongress der Deutschen Diabetes Gesellschaft (DDG) in Berlin.

Die kanadische Ärztegesellschaft hat Adipositas zur chronischen Erkrankung deklariert. Damit ist unmittelbar ein Therapiezugang für die Betroffenen und deren Ärzte möglich, und Adipöse nehmen einen korrekten Platz im Gesundheitswesen ein, für den eine effiziente Behandlung finanziert und realisiert wird.
Trotz konsequenter Lifestyleänderung und intensiver Ernährungsbemühung liegt die Rezidivrate der Adipositas bei nahezu hundert Prozent, erinnerte Sharma. Nur wenige Menschen reagieren auf Allgemeinmaßnahmen und werden Responder ihrer Lebensstiländerung, wie ungezählte Untersuchungen und die Praxisrealität immer wieder belegen. Teilweise wurde die Energieaufnahme reduziert auf 1.400 kcal täglich, die Fettaufnahme sank um 24 Prozent, die Proteine um 19 Prozent, und 56 Prozent weniger Kohlenhydrate wurden durchschnittlich aufgenommen. Dieses Kollektiv verbrauchte täglich 400 kcal durch körperliche Aktivität.
Adipositas ist als Bilanzerkrankung bestätigt, wenn die aufgenommene Energie mit der verbrauchten Energie nicht in Balance ist, sagte Sharma.
Es ist die Aufgabe der menschlichen Physiologie den Organismus vor Verlusten zu schützen, und dies geschieht sehr effektiv durch die komplexe Energieregulation im Hypothalamus. Dieser lässt sich nur schwer vom Kortex kontrollieren und entzieht sich dem neurohumoralen Einfluss des Intestinaltrakts. Sobald der Körper ein Energiedefizit registriert, setzt eine sofortige hormonelle Gegenregulation ein. Leptin sinkt ab und die Ghrelinfreisetzung nimmt deutlich zu. Konsekutiv wird der Appetit gesteigert, die metabolische Rate und die Thermogeneseaktivität gehen zurück.
Aus Langzeitstudien ist bekannt, dass diese Veränderung auch nach einer Gewichtsreduktion noch sehr präsent sind, und einen Setpoint anstreben, der immer das höchste jemals erreichte Körpergewicht adressiert. Warum stellt sich der hohe Sollwert nicht auf die mühsam erreichte Gewichtsreduktion um? Warum münden fast alle Diäten und Gewichtsreduktionsprogramme unvermeidliche im JoJo-Effekt und stellen den Sollwert immer höher?
Diese Fragen stellte Professor Sharma in den Raum, die er damit beantwortete, dass die einmal erreichte Adipositas neurophysiologisch zur „Narbenbildung“ im Hypothalamus führt, die vergleichbar mit Myokardinfarktnarben die Funktion des Gewebes beeinträchtigen. Diese neurophysiologischen Veränderungen sind Ausdruck einer Entzündungsreaktion im Hypothalamus. Ebenso ist die Gefäßversorgung Adipöser verändert bei Übergewicht, und die beschädigte Zytoarchitektur kann nie wieder zurückgebildet werden. Dies entspricht einer chronischen Erkrankung, vergleichbar einem Diabetes mellitus, die als Mikrogliose zu interpretieren ist.
Vor diesem Hintergrund ist jede akute Gewichtszunahme ein Notfall, der sofort behandelt werden müsste um die irreversiblen Schäden zu vermeiden. Um diese Entwicklung wirksam zu verhindern, kann nur eine chronische Therapie wirksam sein. Weil, wie es sich gezeigt hat, eine Lifestyle-Modifikation wenig hilfreich ist und kein Mensch dauerhaft mit diesen alimentären Einschränkungen leben möchte.
Es wird eine Therapie gebraucht, die es der körpereigenen Physiologie erschwert einer Gewichtsreduktion immer wieder gegen zu regulieren. Diese Therapie muss lebenslang erfolgen und mit den richtigen Produkten durchgeführt werden. Sharma begrüßte daher die Zulassung von Liraglutid 3 mg (Saxenda®) zur Behandlung adipöser Personen, weil sie die zahlreichen GLP1-Rezeptoren am Hypothalamus adressiert, und somit eine zentral am Hypothalamus angreifende Behandlung stattfindet, die den nach oben verstellten Sollwert korrigieren könnte.

– Adipositas Stiftung // Veröffentlicht in Allgemein