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Seit der Antike hat moderater Weinkonsum einen Platz als Medizin und Prävention

An vielen Fragen des täglichen Lebens scheiden sich die Geister. Grundsätzlich „so und nicht anders“ wird das Denken der Ideologen interpretiert, die ihre ideologisierte Weltanschauung gerne mit Macht ihren Mitmenschen oktroyieren würden. Idealisten leben dagegen ihre persönliche Wirklichkeit, die auf wissenschaftlichen, Evidenz-basierten oder sozialen Erkenntnissen beruht, und durch eigene Erfahrung und eigenes Denken interpretiert ist. Heutzutage wächst das Angebot alternativer Fakten und Fast-Wahrheiten in der Kommunikation, und verursacht eine strukturell fehlende Eindeutigkeit. Ärzte und Patienten reagieren verunsichert, wenn von hochrangingen Fachjournalen oder seriösen Printmedien alternative Fakten angeboten werden, oft nur um die Auflage, die Klicks und die Zuschauerzahlen zu erhöhen. 

So wurde besonders für die Corona-Pandemie ein nahezu 20prozentiger Anstieg an alkoholtrinkenden Bundesbürgern publiziert, und viele Cassandra-Rufe zur Suchtgefahr in die medialen Schlagzeilen gepackt.

Auf dem diesjährigen Internisten Kongress in Wiesbaden widmete sich die Deutsche Weinakademie während eines Symposiums diesen Aussagen, die nach Ansicht von Professor Kristian Rett aus Baden Baden eindeutig zu den alternativen Fakten gehören. Die Erstpublikation der Global Burden of Disease-Studie (GBDS), einer nicht-experimentellen, beschreibenden Korrelationsstudie stammt aus dem Jahre 2018 (GBDS 1). In dieser Studie werden globale Schätzungen zum Trinkverhalten korreliert mit 22 willkürlich definierten alkoholassoziierten Gesundheitsproblemen. Nach der Systematik von Sackett hat GBDS eine Evidenzklasse III und einen Empfehlungsgrad von Null. Empfehlungsgrade drücken den Grad der Sicherheit aus, dass ein erwartbarer Nutzen einen möglichen Schaden aufwiegt (Netto-Nutzen) und der mögliche Nutzen ein für die Patienten relevantes Ausmaß erreicht.

Die Orientierung an Evidenzklassen und Empfehlungsgraden ist für ein medizinisches Auditorium Alltagsgeschäft, stellt sie doch die Entscheidungsgrundlage dar für die Qualitätsbeurteilung von Studien und die Nutzen/Schaden-Abwägung jeglicher Therapie. Damit ist diese Systematik auch auf Studien zum moderaten Weinkonsum übertragbar. 

Die Erstpublikation postuliert eine lineare Dosis-Wirkungsbeziehung zwischen Alkoholkonsum und möglichen Gesundheitsschäden und gipfelt in der Forderung, es gebe keinen sicheren Alkoholkonsum, da bereits geringe Mengen gesundheitsschädlich seien. Das steht im Gegensatz zum bestehenden wissenschaftlichen Konsens, der von einer sogenannten J-Kurve und von einem gesundheitlichen Nutzen im unteren („moderaten“) Dosisbereich ausgeht.

Aufgrund der methodischen Schwächen und wissenschaftlicher Fehler sowie der unangemessenen Schlussfolgerung wurde GBDS 1 hinreichend kritisiert. 

In der aktuelleren Publikation wurden die gleichen Daten unter Berücksichtigung von Alter, Geschlecht, Jahr und geographischer Zuordnung ausgewertet. Dabei wird belastungsgewichtete relative Risikokurve ab dem 40sten Lebensjahr in allen Regionen der Welt als J-förmig beschrieben, aufsteigenden kurzen Schenkel des Buchstaben befinden sich die abstinent lebenden Personen, den unteren Bogen des Buchstaben besetzen die moderaten Trinker und in der langen aufsteigenden Linie können diejenigen gefunden werden, denen ein geringer bis schwerer Alkoholmissbrauch bescheinigt werden kann.

Außerdem lässt sich in GDBS 2 sogar ein verbessertes Gesundheitsergebnis für Personen mit erhöhtem kardiovaskulärem Risiko bei moderaten Weinkonsum erkennen. Dies gilt für Frauen ebenso wie für die männlichen Teilnehmer der Studie.

Mit dieser Interpretation rückt die GBDS erstmalig vom bisherigen hegemonialen Abstinenzparadigma ab und erkennt den Netto-Nutzen des moderaten Alkoholkonsums in Abhängigkeit vom Alter und vom kardiovaskulären Risiko an. GBDS empfiehlt stattdessen Maßnahmen zur Minimierung des Alkoholkonsums bei Jugendlichen und jungen Erwachsenen.

Das ist gegenüber der Erstpublikation nichts anderes, als eine 180 Grad Wende, deren Eleganz darin besteht, dass sie in der Öffentlichkeit nicht als Wende wahrgenommen wird.

Auch wenn die GBDS-Daten – angesichts eines Empfehlungsgrades von Null – nicht evidenzbasiert, sondern lediglich Hypothesen generierend sind, weist diese Wende nunmehr doch in die richtige Richtung, so Professor Rett. Es gehe im Grunde nicht mehr um die Abstinenzfrage, sondern darum, die junge Generation an verantwortlichen Konsum und Substanzmündigkeit heranzuführen 


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– Dr. med. Karin Wilbrand // Veröffentlicht in Allgemein