CDU-Politiker will, dass Übergewichtige mehr zahlen

September 3rd, 2010 by

Nach Ansicht des Bundestagsabgeordneten Marco Wanderwitz leben Dicke bewusst ungesund; dafür sollten sie finanziell zur Verantwortung gezogen werden.

Es war tatsächlich nur ein schlechter Versuch, das politische Sommerloch zu stopfen, den der CDU-Bundestagsabgeordnete Marco Wanderwitz (Wahlkreis Chemnitzer Umland/Erzgebirgkreis II) da kürzlich unternahm.

Nicht nur der Mediziner schüttelt ob dieser Forderung den Kopf, auch der Jurist fragt sich: Ist der Mann noch bei Sinnen? Kontrollierte Stimmungsmache gegen Dicke? Oder ist alles nur der Profilierungssucht eines Hinterbänklers geschuldet? Ich glaube: von allem etwas.

Richtig ist: Die Adipositas, also das krankhafte Übergewicht mit einem Body Mass Index (BMI) von über 30 kg/m2, ist eines der komplexesten Krankheitsbilder unserer Zeit. Die Epidemie breitet sich insbesondere in den westlichen Industrienationen mit atemberaubender Geschwindigkeit aus, eine Lösung des Problems ist nicht in Sicht. Entstehung und Entwicklung der Krankheit (oft schon im Kindesalter) hängen von vielen Faktoren ab: Genetische Dispositionen, Störungen im Stoffwechsel, Hormonelle Ursachen, Fehlernährung und Bewegungsmangel gehören dazu.

Den Betroffenen den Schwarzen Peter zuzuschieben greift also viel zu kurz. Genauso wenig wie der Krebspatient die Verantwortung für sein Pankreaskarzinom trägt, genauso wenig ist der adipöse Patient schuld an seiner Situation.

Rechtlich ist die Forderung deshalb nicht haltbar, eine Norm dieses Inhalts juristisch nicht umsetzbar. Das Gesetz anerkennt zwar den Umstand, dass man sich eine Krankheit vorsätzlich zuziehen kann (§ 52 Absatz 1 SGB V), Rechtsprechung und Literatur haben einer extensiven Auslegung der entsprechenden Vorschrift aber schon frühzeitig und dabei sehr entschlossen einen Riegel vorgeschoben (siehe z.B. Kasseler Kommentar zum Sozialversicherungsrecht, § 52, Rn. 3ff m.w.N.; Krauskopf, Kommentar zur Sozialen Krankenversicherung, § 52, Rn. 4): Vorsatz (mindestens in Form einer billigenden Inkaufnahme) wird in Fällen bloßer gesundheitsschädlicher Lebensführung (exzessives Rauchen, Alkoholabusus, übermäßige Nahrungsaufnahme) regelmäßig nicht angenommen.

Höchst problematisch gestaltet sich weiterhin der Umstand, dass eine steuer- oder beitragsrechtliche Sonderbehandlung einer Bevölkerungsgruppe die Büchse der Pandora endgültig öffnen würde: Die Beteiligung eines Drogensüchtigen, der sich mit Absicht Heroin in die Vene spritzt, an den Heilbehandlungskosten wird vielleicht noch zustimmendes Kopfnicken hervorrufen, spätestens bei der Abgrenzung zwischen einer gesunden zu einer ungesunden Ernährung dürfte es jedoch zu unlösbaren, ja gerade absurden Abgrenzungsfragen kommen: Ist Butter noch ok, wenn ja, in welcher Menge? Was ist mit Zucker und – dem oft als Verursacher von diversen Herz- & Kreislauferkrankungen bezichtigten – dem Salz?

Schließlich – und auch hier irrt der ostdeutsche Abgeordnete in beängstigender Art und Weise – lässt das Gewicht eines Menschen keine Rückschlüsse auf dessen Gesundheitszustand zu.

Ein Kommentar von Rechtsanwalt Dipl.-Jur. Tim C. Werner, Werner Rechtsanwälte, Frankfurt am Main

Adipositas Stiftung gegen Diskriminierung

September 3rd, 2010 by

Antwort an Herrn Wanderwitz

Kürzlich sagte der Chef der Jungen Gruppe in der Unionsfraktion, Marco Wanderwitz, gegenüber der Bild-Zeitung: „Es muss die Frage erlaubt sein, ob die immensen Kosten, die zum Beispiel durch übermäßigen Esskonsum entstehen, dauerhaft aus dem solidarischen System beglichen werden können. Ich halte es für sinnvoll, dass bewusst ungesund lebende Menschen eine eigene Verantwortung auch in finanzieller Hinsicht tragen.“

Die Adipositas Stiftung Deutschland hat sich zum Ziel gesetzt, die soziale Diskriminierung von Menschen mit Übergewicht und Fettleibigkeit (Adipositas) nicht nur offen anzusprechen, sondern auch Vorbehalten der Öffentlichkeit gegenüber den Adipösen entgegenzuwirken. Jeder, der beruflich oder privat mit Menschen zu tun hat, die unter Adipositas leiden, versteht die Schwierigkeiten und Vorurteile, denen sich diese Menschen im täglichen Leben ausgesetzt fühlen. Was werden diese immerhin fast 60 Prozent der Allgemeinbevölkerung denken, wenn Herr Wanderwitz sie jetzt auch noch finanziell bestrafen will?

Andererseits ist die politische Unterstützung zur Prävention und Behandlung der Adipositas in Deutschland gering. Beispielsweise hat das Solidarsystem noch nie Medikamente zur Therapie der Adipositas bezahlt, und auf ein Präventionsgesetz warten wir noch immer. Wir glauben deshalb, dass wir statt eine „Fettsteuer“ zu fordern lieber koordiniert in Adipositas-Präventionsprogramme und Forschungsprojekte (hier gibt es in den letzten Jahren erfreuliche Lichtblicke in der Unterstützung der Adipositasforschung in Deutschland) investieren sollten, die letztendlich helfen die vererblichen Faktoren der Adipositas zu verstehen. Bisher sind wir, trotz neuer Forschungsergebnisse, noch weit davon entfernt sagen zu können, dass Adipositas allein durch eine „bewusst ungesunde Lebensweise“ verursacht wird.

Natürlich würde es ohne Überernährung und Bewegungsmangel wahrscheinlich kein Adipositasproblem geben, aber ist das eine Schuldfrage? Es gibt starke (manche Zwillingsstudien sagen bis zu 70 Prozent) genetische Faktoren, die das Risiko für die Entstehung der Adipositas erhöhen. Wir beginnen gerade erst zu verstehen, welche Gene unseren Appetit, unser Sättigungsgefühl, die Freude am Essen, den Energieumsatz und andere Einflussfaktoren der Adipositas steuern. Mit der Forderung nach einer finanziellen Beteiligung würden diese Betroffenen doppelt bestraft. Außerdem, wer entscheidet denn, was gesunde Lebensweise, gesunde Nahrungsmittel etc. sind und auf welcher Basis?

Die Diskussion über das Adipositas-Problem ist nur ein weiterer Beleg für die Vorurteile, die wir Menschen mit Adipositas entgegen bringen. Eine ähnliche Diskussion wäre undenkbar, wenn Menschen mit familiär erhöhtem Krebsrisiko eine eigene Verantwortung auch in finanzieller Hinsicht tragen sollten. Sollten Menschen, die aufgrund einer körperlich aktiveren (gesunden) Lebensweise ein erhöhtes Risiko für Sportverletzungen haben, auch zusätzlich bezahlen? Treffen diese Kosten die Solidargemeinschaft gerechter?

Die Adipositas Stiftung Deutschland möchte Menschen der krankhaften Adipositas eine Stimme geben und sich ausdrücklich gegen die Aussagen von Herrn Wanderwitz stellen. Wir werden vielmehr diese und ähnliche Diskussionen nutzen, um Betroffene, Politiker und Menschen, die beruflich oder privat mit Adipositas zu tun haben zusammen bringen, um die Strategien zur Prävention und Behandlung der Adipositas zu verbessern.

EU-Parlamentarier sollen Awareness für Adipositas fördern

Juni 30th, 2010 by

Die Mitglieder des Europaparlaments Cristian Silviu Busoi (ALDE), Jill Evans (Greens/EFA), Miroslav Mikolásik (EPP), Jo Leinen (S&D), Kyriacos Triantaphyllides (GUE/NGL) machen sich stark im Kampf gegen die Adipositas.

Bitte unterzeichnen auch Sie die „Written Declaration“ 0034/2010, um den Kampf gegen die Adipositas voranzubringen!

Die Deklaration liegt während der Plenarsitzungen vor dem Halbrund, und zwischen den Sitzungen im Deklarations-Büro im PHS Gebäude, aus.

Die Adipositas Stiftung Deutschland begrüßt diese Aktivität, und bittet auf diesem Wege die Mitglieder des Europaparlaments aus Deutschland, sich an den wichtigen Aktivitäten zu beteiligen.

Sehr geehrtes Mitglied des Europaparlaments,

ich schreibe Ihnen mit der Bitte, die Deklaration 0034/2010 zu unterschreiben. Unsere Organisation führt seit Jahren erfolgreich Kampagnen zur Bekämpfung der Adipositas durch. Folgende Fakten sprechen für sich:

* Die Anzahl der adipösen Menschen ist in den letzten 10 – 15 Jahren um ca. 30% gestiegen.(1)

* Über 200 Millionen Erwachsene in der EU (die Hälfte der Bevölkerung) sind übergewichtig oder adipös.(2)

* Ca. 7% der EU-weiten Gesundheitskosten werden für die Behandlung adipöser Menschen aufgewendet.(3)
Hinter diesen Zahlen stehen EU-Bürger, die bereits jetzt schon leiden und in Zukunft an Folgekrankheiten wie Diabetes, Herzerkrankungen und Krebs erkranken und früher sterben werden.

Mit Ihrer Unterschrift setzen Sie und Ihre EU-Parlamentskollegen ein Zeichen auch für die einzelnen nationalen Parlamentarier, die nationalen Regierungen und Wirtschaftsführer in ganz Europa, dass das Europäische Parlament endlich Maßnahmen erwartet!

Die Deklaration liegt während der Plenarsitzungen vor dem Halbrund, und zwischen den Sitzungen im Deklarations-Büro im PHS Gebäude, aus.

Die Adipositas Stiftung Deutschland hofft auf Ihre Unterstützung und sagt auf diesem Wege Herzlichen Dank.

Mit freundlichen Grüßen
Adipositas Stiftung Deutschland gGmbH

(1) http://www.biomedcentral.com/1471-2458/8/200
(2) http://ec.europa.eu/health/ph_determinants/life_style/nutrition/documents/nut_obe_prevention.pdf
(3) http://ec.europa.eu/health/ph_determinants/life_style/nutrition/documents/nut_obe_prevention.pdf

Großer Informationsbedarf bei der Lufthansa Gesundheitswoche

Juni 18th, 2010 by

Während der LH-Gesundheitswoche bot die Adipositas Stiftung Deutschland  umfassende Beratung zur Ernährung, Bewegung und den Zielen der Stiftung an. Besonders stark frequentiert wurde das Angebot der Adipositas Stiftung den Blutdruck und das viszerale Fettgewebe zu messen, sowie den BMI zu ermitteln und die täglich gelaufenen Schritte mit dem OMRON-Schrittzähler zu ermitteln. Die Aktion „Schritte zählen“ erfreute sich großer Beliebtheit, die Schrittzähler wurden für eine Woche ausgeliehen und am letzten Tag der LH-Gesundheitswoche wurden drei Sieger ermittelt, denen attraktive Preis der Adipositas Stiftung für ihren Sieg verliehen wurden. Mehr als 50.000 Schritte in fünf Tagen konnten die Sieger auf ihrem Bewegungskonto als Plus verbuchen.
Brotschnitten (Fitness-, Diät-, Vollkorn-, Leinsamenbrot und Pumpernickel/Mestemacher) stillten den kleinen Hunger der aktiven Teilnehmer und waren für viele ein neues Geschmackserlebnis des gesunden Essens.

 

Gefragt waren auch die unterschiedlichen Sportgeräte zur gesunden und effektiven Bewegung: Übungseinheiten mit dem Bioswing (Foto) oder dem Thera-Band konnten unter fachlicher Beratung durchgeführt werden, die vom Unternehmen Artzt Vitality vorgestellt und für die Bewegungsübungen bereit standen.

An jedem der fünf Tage vom 14.06. bis zum 18.06. wurden den Teilnehmern professionelle Beratungen angeboten, zu denen Professoren unterschiedlicher Fachrichtungen am Stand der Adipositas Stiftung Deutschland anwesend waren.

 

 

Gezielte Fragen zu den eigenen Gewichtsproblemen oder der Krankheitswertigkeit des Übergewichts, eventuell bereits aufgetretenen Folgebeschwerden und andere mit dem Übergewicht zusammenhängende Probleme wurden diskutiert und von den Experten, Dr. Anette Chen-Stute vom Adipositaszentrum Oberhausen, der Gynäkologin Dr. Sule Uslu aus Frankfurt, dem Endokrinologen und Ernährungsmediziner Professor Stephan Jacob aus Villingen Schwenningen und dem Diabetologen Professor Chritoph Rosak aus Frankfurt, beantwortet. Fragen zur Kostenübernahme einer Adipositastherapie oder zur bariatrischen Chirurgie beantwortete der Rechtsanwalt Tim Werner aus Frankfurt.

Insgesamt war die LH-Gesundheitswoche ein gelungener Beitrag zur Gesundheit und Gesunderhaltung der Mitarbeiter, die mit dem Public Viewing des Fußballspiels Deutschland : Serbien (0:1) der Weltmeisterschaft in Südafrika und einer anschließenden Bewegungsmotivation der Teilnehmer durch Professor Winfried Banzer von der Sportmedizinischen Universität Frankfurt endete. Solch ein aktiver Beitrag zur Gesunderhaltung der Mitarbeiter ist für alle Unternehmen zur Nachahmung empfohlen.

Mit Empathie und Verständnis für die Probleme der Adipösen

Juni 4th, 2010 by

Berlin. Auf der Grundlage wissenschaftlicher Erkenntnisse bedarf es eines Umdenkens in der Bevölkerung, wenn langfristig eine Umkehr der konstant wachsenden Zahl von Übergewichtigen und Adipösen erreicht werden soll. Für die Eingrenzung der gesundheitlich bedrohlichen Entwicklung wurde von der EU der European Obesity Day ins Leben gerufen. Die Adipositas Stiftung Deutschland wurde damit betraut, in einer bundesweiten Kampagne und einer Pressekonferenz in der Hauptstadt diesen Tag zur Information und Aufklärung zu nutzen und zu begleiten.

Inzwischen gehören fast zwei Drittel der Bevölkerung zu den Übergewichtigen und Adipösen, und dies kann nicht als Folge hemmungslosen Essens apostrophiert und die Betroffenen diskriminiert werden. Bisher wurden genetische- und Umweltfaktoren weitgehend vernachlässigt, die permanent und im Überfluss zur Verfügung stehenden, hochverdichteten und hochkalorischen Nahrungsmittel ignoriert und TV oder Computer als wesentliche Wirtschaftsfaktoren nicht konsequent für die Einschränkung der körperlichen Aktivität verantwortlich gemacht.

Zu der Pressekonferenz eingeladen waren medizinische Wissenschaftler, Apotheker und Betroffene, um ihre spezifischen Erfahrungen mit krankhaftem Übergewicht zu präsentieren und die Kompetenzen im Umgang mit dem Problem zu nutzen. „Wenn alle Beteiligten für den Kampf gegen das Übergewicht und die Adipositas sensibilisiert und gestärkt werden, kann es gelingen diese bedrohliche Entwicklung aufzuhalten“, sagte Dr. Lutz Schneider, Apotheker aus Wuppertal, der die Pressekonferenz der Adipositas Stiftung Deutschland in Berlin moderierte.
Es wird mit zu wenig Empathie auf diese komplexe Erkrankung und die diversen Ursachen eingegangen, beklagte Professor Stephan Jacob aus Villingen-Schwenningen, der als 2. Vorstand der Adipositas Stiftung Deutschland auf die psychosozialen-, und besonders auf die organischen Komplikationen der Erkrankung hinwies.

Die Gesundheit des Einzelnen werde nicht durch sein Körpergewicht, sondern allein durch die Folgeerkrankungen bedroht, führte Jacob aus, und bezeichnete das vermehrte viszerale Fettgewebe als metabolisch hochaktives Organ, das die Blutglukose, die Blutfettwerte, den Blutdruck und die Arteriosklerose zu kardiovaskulären Risikofaktoren werden lässt. Schon alleine um die enormen Folgekosten zu vermeiden, muss frühzeitig interveniert werden, damit die Folgen des Übergewichts, wie Bluthochdruck, Fettstoffwechselstörung, viszerale Fettansammlung und Diabetes mellitus vermieden werden. Es ist in erster Linie die Aufgabe jedes Therapeuten diejenigen Patienten zu identifizieren, die von einer Life-Style-Intervention mit Ernährungsumstellung und vermehrter körperlicher Aktivität gesundheitlich profitieren.

Am eigenen Leib erfahren musste Oliver Welchering die Situation eines Adipösen in der Gesellschaft. „Hinter jedem großen Gewicht stehen große Probleme“,   führte er aus, die er häufig einem psychosozialen Anlass geschuldet sieht, die eine hohe Affinität zum Suchtverhalten zeigen und den „Kummerspeck“ anwachsen lassen. Dass Nahrungsmittel als Suchtsubstanz dieses Kollektivs überall und jederzeit zur Verfügung stehen, verschärft die Situation, die initial zwar noch steuerbar sei, aber unvermeidlich zu einem „point of no return“ führen, von dem auch die Veränderung des Lebensstils nicht mehr weg führt.

Hat das Fettgewebe erst eine eigene endokrinologische Bedeutung erlangt, ist man dem eigenen Körper ausgeliefert, so Welchering, der mit 208 kg ein Maximalgewicht erreicht hatte, dem er ohne medizinische Hilfe nicht mehr zu Leibe rücken konnte. Er unterzog sich einer bariatrischen Operation mit Magenbypass, und konnte inzwischen nahezu 100 kg Körpergewicht abbauen.

Arbeitslosigkeit und die komplette Beeinträchtigung des täglichen Lebens, in dem jeder Schritt zur Mühsal wurde, gehören inzwischen der Vergangenheit an, und auch die fatale Reaktion einer selbst gewählten sozialen Isolation hat er überwunden. Mit 208 kg Körpergewicht trifft man in der Öffentlichkeit auf eine ausgesprochen negative Aufmerksamkeit, die vergleichbar ist mit dem Staunen vor einem Außerirdischen in neon-grüner Einfärbung, begründet Welchering seinen sozialen Rückzug. Dabei wären Empathie und Verständnis für die Probleme der Adipösen die wirklich hilfreichen Angebote des sozialen Umfeldes.
Mit seiner Gewichtsreduktion wurden auch die gesundheitlichen Probleme immer weniger relevant, weil sich bisher weder ein Diabetes, noch Arthrose oder Stoffwechselprobleme manifestiert haben. Vor dem Hintergrund der initialen Weigerung der Krankenkassen die Kosten für den bariatrischen Eingriff zu übernehmen, zeigt sich heute der Erfolg der Maßnahme als deutliche Kosteneinsparung aufgrund der Vermeidung schwerwiegender Folgekomplikationen. Inzwischen kann Welchering wieder Sport treiben und folgt einem ausgesprochen gesunden Lebensstil. „Sehr häufig sind Menschen aus sozialen Randgruppen von Adipositas betroffen, denen eine Selbstzahlung der bariatrischen Chirurgie nicht möglich ist, und die ungebremst ein Risikoprofil ausbauen, das in einem breiten Krankheitsspektrum enden muss“, so Welchering in einem dringenden Appell an die Krankenkassen, die Kosten für die kurative bariatrischen Chirurgie und die medikamentös unterstütze Gewichtsreduktion zu übernehmen, um dem Gesundheitssystem gewaltige Kosten für die Komplikationen der Adipositas zu ersparen.

„Beratung zur gesunden Ernährung, zur Sporttherapie und bei Bedarf zur medikamentösen Unterstützung, etwa durch Orlistat, im Rahmen eines Gewichtsreduktionsprogramms gehören zu den originären Aufgaben des Apothekers“, sagte Johanna Jäger, Apothekerin aus Berlin anlässlich der Pressekonferenz des EOD in Berlin. Besonders vor Scharlatanerie zu warnen und die Gewichtsreduktion sachgerecht zu verwalten, gehört zur seriösen Kundenbetreuung. Oft greifen die Übergewichtigen und Adipösen zum letzten Strohhalm und liefern sich allzu häufig den pekuniären Interessen unseriöser Produkthersteller aus.
Frau Jäger registriert zwei unterschiedliche Verhalten von übergewichtigen Kunden, nämlich jene, die das Problem von sich aus ansprechen, weil sie abnehmen wollen, und solche, die bereits mit Rezepten gegen die Folgeerkrankungen in der Apotheke erscheinen, denen aber das Problembewusstsein für die krankmachenden Folgen der Adipositas nicht klar zu sein scheint.

Kalorienzählen ist nach Ansicht der Expertin ein falscher Weg zur Gewichtsreduktion, weil das Essen mit Emotionen verbunden ist, die nicht abtrainiert werden können. Die meisten Diätempfehlungen münden daher in dem weit verbreiteten Jo-Jo-Effekt, weil niemand seine Emotionalität dauerhaft kontrollieren kann.

Die Experten waren sich einig, dass nicht jeder Übergewichtige auch negative Auswirkungen auf seine Gesundheit erlebt, weil selbst ein BMI von 28 bei gleichzeitiger körperlicher Fitness noch keinen Krankheitswert aufweist. Jacob plädierte daher für das „obesity staging system“ von Professor Sharma aus Kanada, der als internationaler Beirat der Adipositas Stiftung Deutschland zur Lösung der gesundheitsrelevanten Probleme beiträgt. Mit Hinweis auf den Bauchumfang als ausgezeichnetes Maß für das viszerale Fettgewebe, das bei Frauen nicht größer als 88 cm sein soll und bei Männern 102 cm nicht überschreiten darf, werden Prävention und Therapie erforderlich, wenn erste gesundheitliche Veränderungen auftreten. Während Hypertonie, Diabetes und kardiovaskuläre Erkrankungen enorme Kosten des Gesundheitssystems verschlingen, wird bei Übergewicht und
Adipositas als Verursacher solcher Diagnosen die Kostenübernahme verweigert. Während in vielen europäischen Ländern die Antiadipositas-Pharmaka erstattungsfähig sind, verweigern die Kostenträger in Deutschland die Kostenübernahme für die Prävention und Therapie zur Vermeidung von Folgekosten, so die Experten.

Vor allem einer Stigmatisierung der Übergewichtigen und Adipösen im beruflichen und wirtschaftlichen Bereich muss entgegengewirkt werden, weil Versicherungen, Arbeitgeber und selbst Banken bei der Gewährung von Darlehen Vorbehalte gegenüber dem Kollektiv zeigen. Während Alkoholismus oder starke Nikotinabhängigkeit verborgen bleiben, ist Adipositas ein von jedem erkennbares Problem, und erschwert unmittelbar den Zugang zu einer Arbeitsstelle, einer Lebens- und Invaliditätsversicherung sowie einem Bankdarlehen.

Dass die Zahl der Ratgeber für gesunde Ernährung, Diäten und Gewichtsreduktion unendlich hoch ist, die Klinik- und Kuraufenthalte mit Langzeittherapie oft nicht zielführend sind, zeigt nach Ansicht der Experten, dass es kein langfristiges Konzept zum Lebensstil-Coaching gibt. Sie fordern eine Netzwerkstruktur für Beratung und Unterstützung der Betroffenen, und vor allem die Honorierung der therapeutischen und beratenden Leistungen der Experten. Nur durch ein strukturiertes Lebensstil-Coaching und empathische Begleitung in einer Netzwerkstruktur aus Ärzten, Apothekern, Sportvereinen und Fitness-Studios lässt sich eine lebenslange Änderung zur gesunden Lebensweise erreichen.

„Ernährung und Gesundheit gehören in den Schulunterricht“, wünschte sich Oliver Welchering von der Politik, um das Basiswissen zur richtigen Ernährung schon früh zu vermitteln.